Die Strecke des Mammutmarsches Hamburg. Quelle: komoot.de / OpenStreetMap
„Bei uns wanderst Du, bis es weh tut. Und dann weiter …“, so preisen die Veranstalter des Mammutmarsches 100 km rund um Hamburg ihr Event an. Meine letzte Wanderung brachte mich nahe an 40 Kilometer. Schaffe ich 100 Kilometer? Physisch war ich relativ überzeugt. Vor der psychischen Herausforderung hatte ich größten Respekt. In Extremsituationen motivieren? Ich werde es versuchen und stehe ich am Samstag, dem 29. Juni 2019 kurz vor 15 Uhr auf der Elbinsel Kaltehofe in Hamburg. Mit mir zählen rund 300 Teilnehmer runter „fünf, vier drei, zwei, eins..“, eher unspektakulär wandern wir in großer Gruppe los in Richtung Südelbe. Zu dieser Zeit ist Simone Michels aus Fedderwarden bereits seit 6 Stunden unterwegs. Sie absolviert den Mammutmarsch über die Distanz von 55 Kilometern.
In kleinen Gruppen gehen wir kilometerlang den Deich entlang, erstaunlich, wie unterschiedlich dabei das jeweilige Tempo ist. Die Luft steht still, wir haben fast 30 Grad, bloß nicht drüber nachdenken, statt dessen blättern wir im Heft, das die Marschroute zeigt oder nutzen Navigations-Apps, um auf dem rechten Weg zu bleiben.
Auch Markierungspunkte weisen den Weg und so komme ich nach 21 Kilometern bzw. viereinhalb Stunden mit drei anderen Startern am ersten Versorgungspunkt an. Schon spannend, was man so in einer Pause macht: Füße inspizieren, also reinigen, trocknen, Blasen behandeln, Socken tauschen und natürlich essen und Wasser auffüllen. Ich bin mit drei Litern Wasser und iostonischem Zusatz, alles zusammen in einer speziellen Trinkblase im Rucksack, gestartet. Jetzt ist knapp noch ein Liter enthalten. Es geht weiter. Nach etwa einem Kilometer finde ich wieder meinen Schritt und gehe einfach nur, dabei lasse ich meinen Gedanken freien Lauf.
Bei Kilometer 35 zwingen Probleme am Fuß einen Mitläufer zur Aufgabe. Wir anderen machen kurz halt, ziehen Kleidung für die Nacht an, setzen unsere Stirnlampen auf und gehen weiter, Lichtstrahlen tanzen durch die beginnende Dunkelheit. Parallel erreicht Simone erschöpft aber glücklich nach 13 Stunden und 53 Minuten das Ziel bei Kilometer 55.
Mitternacht – wir erreichen den zweiten Verpflegungspunkt und haben damit die Marathondistanz von 42 Kilometern erreicht, ab dieser laufen wir in die Nacht, geleitet von einer scheinbar nicht endenden Deichstrecke in Richtung Buxtehude. Um 2:30 „feiern“ wir mit uns alleine in der Buxtehuder Fußgängerzone. Bergfest!
Juhu! Wir sind 50 Kilometer gelaufen. Mist! Nochmal 50 Kilometer… Mental etwas einfacher wurde es ab Kilometer 51: Jetzt umzudrehen wäre echt Blödsinn, Aufgeben ist auch keine Alternative.
Aber ich spüre langsam den bisherigen Weg in meinen Knochen. Irgendwie tut gerade alles weh und ich bin müde. Mit Beginn der zweiten 50 Kilometer ändert sich der Untergrund. Wenig Asphalt, mehr Natur, das Laufen mit leichten Laufschuhen verlangt viel Konzentration, um auf unebenem Boden im Dunkeln die Balance zu halten.
Kurz nach 3 Uhr ein feiner Lichtschimmer am Horizont – wir sehen den neuen Tag, genießen diesen Moment, machen Fotos und erreichen um 4 Uhr den dritten Versorgungspunkt in Ovelgönne. Begeistert stürze ich mich auf Gewürzgurken und Gummibärchen, alles besser als meine mitgeschleppte super gesunde Sportlerverpflegung im Rucksack.
Die kommende Route führt uns direkt in den Wald. Das Streckenprofil auf dieser Etappe wies den höchsten Punkt mit rund 150m aus. Hier tauschen wir unsere Nachtkleidung gegen die kurzen Sachen für den Tag, angesagt sind erneut Temperaturen von bis zu 36 Grad. Höchste Zeit, den Körper mit Flüssigkeit aufzufüllen, bevor die Hitze zuschlägt und man so extrem schwitzt.
9 Uhr, Kilometer 76 und der vierte Versorgungspunkt, vor uns liegen „nur“ noch 24 Kilometer, geschätzte Zeit ca. fünf Stunden. Zwei aus unserer Gruppe geben auf, zu groß sind die Schmerzen durch die großen Blasen.
Die Temperatur beträgt um 10 Uhr bereits 27 Grad und das erste Stück legen wir in praller Sonne zurück. Ich trinke viel, bekomme aber 10 Kilometer vor dem Ziel Probleme, mein Tempo zu halten und verliere langsam den Anschluss an meine Gruppe. Dieser Umstand, die Hitze und die Tatsache, sich zu diesem Zeit bereits wieder in Hamburger Stadtgebiet zu befinden, aber trotzdem noch weit vom Ziel entfernt zu sein, zieht mich enorm runter. Am bis dahin absoluten Nullpunkt führe ich ein aufbauendes Telefonat.
Noch 5000 Meter und plötzlich ist die Straße gesperrt. Zwanzig Meter Straße – unüberwindbar blockiert durch die Polizei, die die Strecke für tausende von Harley-Fahrern sperrt. Definitiv kein Klientel zum Streiten, lieber wählen wir einen Umweg. Und diese 800 Meter bei glühender Hitze nach den bisherigen 95 Kilometern kosten richtig Kraft.
Nach 23 Stunden und 44 Minuten überquerte ich überglücklich die Ziellinie, beklatscht und bejubelt von Finishern, die das Ziel schon erreicht hatten. Ja, die Belastung ist enorm und verlangt einem alles ab. Es ist ein sensationelles Gefühl, wenn man es geschafft hat, sich immer wieder erneut zu motivieren und die inneren Schweinehunde gleich rudelweise in ihre Grenzen gewiesen hat.
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